Das sagt die Presse

Wenn grüner Spargel zum Radieschen wird.
Germeringer Agentur organisiert „Essen im Dunkeln“ / Dabei schmecken die Zutaten anders und die Gespräche gewinnen an Bedeutung
Was kann das nur für ein Gemüse sein? Nach etlichen Fehlerversuchen ist das Stückchen auf die Gabel gerutscht und von dort aus sicher im Mund gelandet. Kaugeräusche vermischen sich mit Entspannungsmusik und Besteckgeklapper. „Ich tippe auf Radischen“, sagt eine Frauenstimme. „Nein, es ist Kohlrabi“, tönt es von links herüber, Dass auch Rucola im Salat ist, steht für alle fest. Der intensiv-scharfe Geschmack ist unverwechselbar, auch wenn das Mahl in absoluter Finsternis stattfindet. Angereichtet ist in einem mit schwarzem Tuch verhängten Tagungsraum im Kempinski Hotel am München Flughafen. Inmitten des mit Palmen versehenen Foyers steht Marcus Gebhard und gibt letzte Tipps. „Handys und fluoreszierende Uhren sind tabu“, sagt er. „Ihr Teller steht direkt vor Ihnen. Wenn Sie auf die Toilette müssen, heben Sie die Hand.“ Der letzte Satz kann nicht ernst gemeint sein, denn in den kommenden 90 Minuten wird das Auge nichts sehen außer tiefster Schwärze. „Als ich von der Idee, im Dunkeln zu essen, das erste Mal hörte, ließ mich der Gedanke nicht mehr los“, erzählt Marcus Gebhard. Der 41-jährige Germeringer ist Gründer und Leiter der Veranstaltungs- und Kommunikationsagentur Mediateam München, die in Germering und in Inning am Ammersee beheimatet ist. Für den promovierten Diplomkaufmann, der lange beim Radio arbeitete stand fest, dass er dieses „Erlebnis der Sinne“ nach München holen würde. Vier Jahre ist das jetzt her. Für sein erstes Essen im Dunkeln für Gebhard eigens nach Berlin. „Doch da benutzten sie Nachtsichtgeräte“, berichtet er. Für den Germeringer kommt das auf keinen Fall in Frage. „Es geht nicht nur um Spass am Event, sonder auch darum, Blindheit und Behinderung zu thematisieren.“ Darum, wie man alltägliche Dinge bewältigt, wenn einem das Augenlicht fehlt. Deshalb arbeitet Gebhard mit dem Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund (BBSB) zusammen. Sein Team besteht aus 25 blinden und sehbehinderten Kellnern. Einer von ihnen ist Andi. Der 32-jährige Münchner arbeitet hauptberuflich in einer Versicherung. Er sieht die Dinge nur schwarz-weiß und stark verschwommen. Seinen Taststock hat er stehts dabei. Seit das Essen im Dunkeln im April 2003 Premiere feierte, bedient er Gäste. „Es macht mir unheimlich viel Spass“, berichtet der lebenslustige Mann- vor allem, wenn mein Gegenüber nett ist.“

„War das Essen in Ordnung? Fühlst du dich wohl?“ Andi hat für alle ein offenes Ohr. Routiniert räumt er das Geschirr ab, flink serviert er den nächsten Gang des Menüs. Im Vergleich zu ihm brauchen die Gäste eine Weile, um sich an die totale Dunkelheit zu gewöhnen. Seine vertraute Stimme hilft in den allermeisten Fällen, mögliche Ängste zu überwinden. Wo liegt der Löffel? Wo die Servierte? Die Gabel zum Mund zu führen ist halb so schwer, das Mineralwasser treffsicher ins Glas zu füllen, dafür umso komplizierter. Aber wenigstens sieht es keiner, wenn was daneben geht…
Die Tischnachbarn sind in der Regel fremd. Da ist kein Blickkontakt, nur die Stimme, Schneller als sonst kommt man miteinander ins Gespräch, auch flapsige Sprüche sind unbedacht dahingesagt, dahingesagt. „Man kann im Dunkeln nicht nebeneinander sitzen, ohne zu reden“, sagt Gebhard. Menschen, die man im Hellen vielleicht nicht wahrnehmen würde, werden plötzlich zu interessanten Gesprächspartnern. Hinterher kommen viele ins Grübeln, wie oberflächlich man bei vielen Dingen des Alltags eigentlich ist. Außer dem Kempinski findet die Veranstaltung inzwischen auch im Hilton München City-Hotel und im Stuttgarter Si-Centrum statt. Im Oktober feiert das Essen im Dunkeln in Ingolstadt Premiere. Die Gäste können zwischen drei, vier und fünf Gängen wählen, das günstigste Menü kostet 69 Euro. Das rätselhafte Gemüse ist mittlerweile verspeist, der Vorspeisenteller weggeräumt. Radieschen und Kohlrabi waren übrigens nicht im Salat, wie sich am Ende herausstellt. Es war grüner Spargel. Die Weisheit „Das Auge isst nicht mit“ gewinnt eine andere Bedeutung.